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Kick-Off: "ULI NEXT meets Mike Josef"
Am 4. Juli wurde die neue Veranstaltungsreihe "ULI NEXT meets" mit dem Frankfurter Stadtrat Mike Josef eröffnet.
15 Juli 2019
Drei erfahrene Immobilienexperten aus Deutschland hatten sich neben drei hochrangigen Experten aus der Schweiz bereit erklärt, an einem von Dr. Thomas Held geleiteten Panel teilzunehmen.
Birgit Werner und Dr. Thomas Held, die Initiatoren des ULI Roundtables am 11. Juli in Zürich, sahen ihre Themenwahl durch den überdurchschnittlich guten Besuch der Veranstaltung bestätigt.
Die Enteignungsdebatte in Berlin bewegt die Akteure der Immobilienwirtschaft auch in der Schweiz, nicht zuletzt, weil das Instrument der Initiative ja Teil des schweizerischen Polit-Systems ist. Auch wenn die Berliner-Initiative noch zahlreiche Hürden zu nehmen hat – wie die deutschen Gäste versicherten – stellt schon die Deckelung der Mieten während fünf Jahren einen extremen Eingriff in die Eigentumsrechte dar. Städte wie München und Frankfurt sind erfolgreichere Wege in der Wohnungspolitik gegangen, anstatt wie Berlin ihre Wohnungsbestände zu verkaufen.
Die Idee einer Enteignung von Immobilienfirmen erfreut sich in Deutschland grosser Beliebtheit. Der Investor – der Immobilien-Hai – ist das geeignete politische Feindbild; er verkörpert Machtmissbrauch, Egoismus und Profitdenken. Die Emotionen schaffen Handlungsdruck. Die Deutsche Bahn hat vor kurzem eine deutschlandweite Initiative für bezahlbaren Wohnraum in Ballungszentren für ihre Mitarbeiter gestartet. Von Deutschland schwappt das Thema nach Paris über, wo auch Mieten gedeckelt werden.
In den Schweizer Städten kann sich der Mittelstand trotz rekordtiefer Hypothekarzinsen kein Eigenheim mehr leisten. Avenir Suisse veröffentlichte gerade eine Studie, in der die verfahrene Situation des Genfer Mietrechts hinterfragt wird, die Investitionen in Renovationen von Wohnbauten verhindern. Und Zürichs Stadtoberhaupt Corinne Mauch wird zitiert «Wir brauchen im Wohnungsbau auch das private Engagement, aber die Privaten müssen sich an der sozialen Aufgabe beteiligen». Allein an diesen wenigen Schlagzeilen erkennen wir, dass auch in der Schweiz das Thema gärt.
So war die aktuelle Situation im deutschen Wohnungsmarkt ein ideales Thema für einen ULI Round Table in Zürich. Drei erfahrene Immobilienexperten aus Deutschland hatten sich neben drei hochrangigen Experten aus der Schweiz bereit erklärt, an einem von Dr. Thomas Held geleiteten Panel teilzunehmen. Das Panel war so organisiert, dass zuerst die Gäste die Situation in Deutschland erklärten und nachher die Schweizer Teilnehmer auf diese Aussagen reagierten.
Kristina Jahn war Vorstand führender Wohnungsgesellschaften wie BGP Investment oder Tonwert Immobilienverwaltung und ist neben ihrer Firma Liva Estate geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Berliner Wirtschaftsgespräche. Sie schätzt das Volksbegehren in Berlin als politische Bewegung mit grosser Strahlwirkung ein. Das Umfeld sei hoch aggressiv und die Diskussion weitgehend faktenfrei. Der regierende Bürgermeister positioniere sich nicht klar. Die Deckelung der Mieten ergänze das Köfferchen der bisherigen Instrumente wie Nutzungsverbot oder Baukindergeld. Eine Klagewelle der Eigentümer drohe, was den Juristen Umsatz bringe, aber die Schaffung von Wohnraum stoppe. Schon heute seien die Aktienkurse der grossen Wohnungsunternehmen wie der Vanovia eingebrochen. Der steigende Flächenbedarf pro Haushalt sei heute viel zu hoch, was eine grundlegende Ursache für den Wohnungsmangel in den Stadtzentren sei. In Deutschland gebe es gar nicht zu wenig Wohnungen, doch seien diese nicht in den Ballungszentren.
Frank Junker pflichtete als Geschäftsführer des erfolgreichen städtischen Unternehmens ABG Frankfurt Holding (mit 52’500 Wohnungen) bei, dass das Thema des bezahlbaren Wohnens nur in einzelnen Städten von Belang sei. Entwicklungsflächen gebe es meist nur in den umliegenden Gemeinden. Die soziale Verantwortung kann die Städte aber nicht auf benachbartes Hoheitsgebiet übertragen. Er fordert, durch Mietendeckel nicht alle Mieterschichten zu «schützen» bzw. zu bevormunden, stattdessen gezielt nur einzelne Objekte für spezifische Mietergruppen zu subventionieren. Seine ABG müsse angemessen Geld verdienen, dies im Auftrag sozialer Verantwortung. Diese Renditeforderung sei auch für institutionelle Immobilieneigentümer wie Pensionskassen oder Versicherungen zwingend erforderlich. Dies müsse bei Mieterschutz-Massnahmen bedacht werden.
Prof. Christiane Thalgott zeigte als ehemalige Stadtbaurätin Münchens Verständnis für die Förderung bzw. Sicherung bezahlbarer Wohnungen. Mit Wohnungsbau sei bisher keine Wahl gewonnen worden, weshalb die Politiker eine zögernde Haltung hätten. 1989 kam es zur Aufhebung des seit 1940 etablierten Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) in Deutschland und weiter zum Verkauf bzw. zur Aufgabe von Werkswohnungen bei der Deutschen Bahn, Deutschen Post, bei Zechen, Werften und vielen weiteren. Internationale Investoren suchten mit günstigem Kapital nach Anlagen und traten als Käufer auf. Letztlich unterstützt Christiane Thalgott Forderungen nach einer Änderung des Bodenrechts. Da heute viele Städte keine Flächenreserven aufweisen, müsse der Zugriff auf kommunale Fläche vereinfacht werden.
Kristina Jahn beschrieb, wie die Wohnungssituation den heutigen Mittelstand treffe. Für Arme werde gesorgt, sei es durch Wohngeld, Harz 4 oder weiteres. Die Forderung nach Bezahlbarkeit auch auf Eigentum auszudehnen, sieht Frank Junker nicht, schliesslich gebe es auch kein Recht auf Hauseigentum.
Die Runde der deutschen Vertreter war sich einig, dass der einzige rationale und sinnvolle Lösungsansatz für das Wohnungsproblem in deutschen Metropolen die Ankurbelung der Produktion sei. Gleichzeitig sei sehr umsichtig mit den Emotionen umzugehen. Die Politik habe hier eine klare Haltung einzunehmen.
Der Blick in die Schweiz zeigte einen geringeren Leidensdruck, obwohl die Emotionen gegen angebliche «Haie» wie z.B. die SBB auch hier Gehör finden. Daniel Ducrey, als CEO Mobimo AG Sponsor des Abends, verantwortet ein Immobilienportfolios mit 40 % Wohnliegenschaften. Als national und international erfahrener Marktkenner sieht er in der Schweiz generell genügend Wohnraum, dies allerdings nicht an den richtigen Orten. Ausserhalb der Ballungszentren seien aktuell 72’000 Wohnungen frei. Diese gelte es erreichbar zu machen. Die Grenzen der Stadt müssten zu einem einheitlich urbanen Gebiet mit sehr guter Infrastrukturanbindung aufgelöst werden. In letztere sei dringend zu investieren.
Wohnungsbaugenossenschaften haben nach Daniel Ducrey eine sehr hohe Bedeutung. Sie übernehmen in der Schweiz eine grosse qualitative Verantwortung bei der Wohnungsversorgung. Er hinterfragte allerdings das Prinzip, die Genossenschafter dauerhaft, auch wenn sie finanziell wesentlich bessergestellt sind, in den Siedlungen wohnen zu lassen. Diese Wohnung würden in gewisser Weise dem Markt entzogen.
Der Kantonsrat Andrew Katumba ist SP-Vertreter und Präsident der Kommission für Planung und Bau. Die bessere Ausgangslage in der Schweiz sieht er in der gelebten Form des Dialoges begründet. Als Beispiel führte er den im Kanton Zürich kürzlich erzielten Kompromiss zur Mehrwertabgabe an. Dass dieser Dialog aber nicht immer funktioniert, zeigt beispielsweise die Kontroverse um das Areal an der Thurgauer Strasse in Zürich, wo neben 700 Wohnungen auch Gewerbe, ein Schulhaus und ein Park geschaffen werden. Grundlegendes Problem sei die fehlende Akzeptanz gegenüber der Verdichtung: 78% der Bevölkerung befürworten die Verdichtung; doch soll in direkter Nachbarschaft verdichtet werden, sind es nur noch 20%. Aber die Kommunen sähen ihre Verantwortung für die Schaffung von Wohnraum. Mit dem Mietendeckel hat Andrew Katumba seine Mühe, ist der Effekt wegen der vielen Reaktionsmöglichkeiten der Eigentümer nicht abschätzbar.
Der letzte Protagonist in der Runde, Peter Schmid, verkörpert gewissermassen das erfolgreiche Genossenschaftswesen in der Schweiz. Nach diversen Engagements ist er heute u.a. Präsident der Baugenossenschaft «mehr als wohnen». Genossenschaften und kollektive Eigentümer haben 3,8% Marktanteil in der Schweiz, in Zürich 20%. Davon sind 15% im Baurecht auf kommunalem Grund. Dass die Genossenschaften zu einer Verknappung des Wohnungsmarkts beitragen, bestreitet Peter Schmid. Die Mitglieder sollten in den Wohnungen bleiben können, um eine Kontinuität im Zusammenleben zu erreichen. Der Flächenbedarf sei im Genossenschaftsbau mit 34 m²/ Person deutlich geringer als der schweizerische Durchschnitt von 42 m²/ Person. Mit einer entsprechenden Anpassung der Flächenansprüche könnten nur schon in der Stadt Zürich 60’000 Personen zusätzlich untergebracht werden. Das führt zu grossen Einsparungen der öffentlichen Hand (sinkende Grenzkosten der Infrastruktur). Peter Schmid kritisierte, dass staatsnahe Betriebe wie die SBB wie jeder andere renditeorientierter Investor agierten. Die SBB subventioniere ihre Pensionskasse, obwohl sie seinerzeit viel Grund und Boden auch vom Staat erhalten hätten. Deshalb habe die SBB bei Neuentwicklungen eine Zielgrösse von 50% preisgünstige Wohnungen zu erfüllen. Gemeinnütziger Wohnungsbau sei ein wichtiges Mittel für soziale Durchmischung und gesellschaftliche Stabilität.
Das Podium und die nachfolgende Diskussion zeigten, dass beim Thema Wohnungsbau die Emotionen hochgehen. Die Immobilienwirtschaft ist unter Druck, marktwirtschaftliche Prinzipien werden in Frage gestellt und sozialistische Rezepte werden populärer. Die Immobilienwirtschaft muss sich den Anforderungen stellen, rasch und vermehrt preisgünstige Angebote zur Verfügung zu stellen. Wie ein Vertreter der Genfer Immobilienwirtschaft betonte, steht diese Anforderung aber im Gegensatz zu den Erwartungen der Investoren, nicht zuletzt der Pensionskassen.
Der Abend schloss nach bewegter Diskussion mit einem Apéro, der ebenfalls von Daniel Ducrey von der Mobimo AG gesponsert wurde. Die Privatbank Rahn+Bodmer stellte wie schon für frühere ULI-Anlässe die in der Nähe des Paradeplatzes in Zürich gelegenen Räumlichkeiten zur Verfügung und übernahm verbleibende Kosten. Ein ganz grosser Dank an beide Unterstützer!
Der intensive Austausch, das hochkarätige Netzwerk und die Inspiration, das sind die Gründe, warum ich mich seit 2005 aktiv beim ULI engagiere und seit 2013 das ULI in der Schweiz mit aufbaue. Ich hoffe auch beim nächsten Anlass am 26. August auf zahlreiches Erscheinen und auf eine qualitativ hochstehende Diskussion. Es geht um die Themen Baukultur, Partizipation und mündiger Bürger: Wie können ideale Wege für die zukünftige Stadtentwicklung skizziert werden.
Birgit Werner, ULI Chair Switzerland, Juli 2019
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