Handelsblatt Real Estate Inside | 2. Juli 2021
Die Coronakrise beschleunigt viele Entwicklungen, die bereits vor dem Ausbruch der Pandemie im Gang waren, wie zum Beispiel die Probleme des stationären Einzelhandels. Deutlich wird der Effekt auch beim Thema Homeoffice: „Telearbeit gibt es seit den 1970er-Jahren. Technisch war das alles längst möglich, aber erst in der Pandemie kam es zum Zwang, das Experiment auch durchzuführen“, sagt Tobias Just, Geschäftsführer der Irebs Immobilienakademie. Die Auswirkungen der Pandemie bekommen die Städte mit voller Wucht zu spüren. „Vieles von dem, was zurzeit an Veränderungen in den Städten zu beobachten ist, ist wenigstens mittelbar auf Corona zurückzuführen. Die Pandemie wirkt einfach irre beschleunigend“, sagt Just.
Im Auftrag des Urban Land Institutes (ULI) hat Just gemeinsam mit Franziska Plößl die Auswirkungen der Pandemie auf deutsche und europäische Städte untersucht. Als Basis diente eine Befragung von über 400 Immobilienprofis und Stadtplanern sowie die Kooperation mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen.
Die Aussagen und Kernthesen der Befragten ziehen sich Just zufolge „wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Perspektiven durch“. Unter anderem erwarten die Befragten, dass die Vorteile der Stadt, Waren und Dienstleistungen schnell und günstig zu handeln und Arbeitsprozesse in Einzelschritte zu unterteilen, an Gewicht verlieren werden. Größen- und Transaktionskostenvorteile seien auf das Internet übergegangen, so Just. „Die gebaute Stadt behält überall dort Nettovorteile gegenüber dem Internet, wo Wege kurz sind, menschliche Interaktion elementar ist und wo Menschen Sinneswahrnehmungen wünschen und wertschätzen.”
Just erwartet, dass dies Quartiere und Nachbarschaften stärken wird. „Das werden nicht mehr nur Wohn- und Handelsstraßen, sondern auch Arbeitsorte sein. Sozusagen viele kleine Städte innerhalb einer größeren Stadt“, sagt Just. Größere Gebilde blieben aber für gemeinschaftliche Dienste und Güter, wie beispielsweise Kulturelles, ebenfalls erhalten.
Wichtig sei dabei, dass beim Umbau der Städte alle Stakeholder an einem Strang ziehen würden, also private Investoren, öffentliche Hand und Stadtplaner. Wenn das gelinge, meint Just, dann bestehe die Chance, dass „wir viel attraktivere und humanere Städte schaffen“.
Allerdings werde das Zeit in Anspruch nehmen. „Ein Stadtumbau funktioniert in Jahrzehnten, wie wir bei den ostdeutschen Städten nach dem Mauerfall beobachten konnten.“ Insgesamt würden die Städte ein Stück weit auf das zurückgeworfen, was sie vor der Industriellen Revolution einmal waren: Orte des Zusammenkommens. Die soziale Interaktion sei der wichtigste Faktor, der den Städten bleibe – sofern sich die Anbieter von Büro- und Einzelhandelsflächen um die Rückkehr der Menschen in die Städte bemühten.
Nicolas Katzung